No Man’s Sky: Eine Geschichte falscher Blickwinkel

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Der Hype um No Man’s Sky gehört sicher zu den größten in der Geschichte der Videospiele. Der seit dessen Release tobende Sturm der Ernüchterung steht dem allerdings in nichts nach. Auf den Titel, der in den Köpfen vieler Spieler das großartigste Stück interaktive Unterhaltung aller Zeiten werden sollte, hageln bestenfalls leicht überdurchschnittliche, häufig vernichtende, in jedem Fall aber zutiefst enttäuschte Kritiken ein. Wie so oft waren auch in diesem Fall die in unermessliche Höhen gewachsenen Erwartungen nicht zu erfüllen. Verantwortlich für die Misere sind jedoch nicht nur die zahlreichen spektakulären und doch vagen Ankündigungen seitens Hello Games innerhalb der letzten Jahre. Auch die Bereitschaft der Spielergemeinde, die oberflächlichen Aussagen des Entwicklers immer wieder wohlwollend zu interpretieren, steht Beispielhaft für eine grundlegend fehlerhafte Betrachtungsweise des Mediums.

Vom Gameplay keine Rede

An der Berichterstattung zu No Man’s Sky über die Jahre fällt vor allem eines unmittelbar auf: Fragen nach dem Gameplay werden entweder gar nicht oder mit wilden Spekulationen beantwortet. Entsprechend inhaltslos beantwortete Sean Murray, Firmengründer und Sprachrohr von Hello Games, auch die ganz konkrete Frage danach, was der Spieler denn nun tatsächlich im Spiel tun würde: “Das Spiel ist sehr offen und kann auf viele verschiedene Weisen gespielt werden.” Unzählige solcher Aussagen ergaben, gemeinsam mit dem faszinierenden Weltraumsetting und hübschen Konzeptgrafiken, den Nährboden für eine enorme Lust zur Interpretation. Die Vorstellungskraft über Spielinhalte und -tiefe kannte, ähnlich wie Jahre zuvor beim ebenfalls kolossal enttäuschenden Spore, keine Grenzen.

Spore

Aliens, Hype und Enttäuschung: Stand Spore Pate für No Man’s Sky?

So zwielichtig die Marketingmethoden der Entwickler auch gewesen sein mögen, einen Vorwurf muss sich das Publikum dennoch gefallen lassen: Es hat sich viel zu schnell mit den notorisch unklaren Aussagen zufrieden gegeben. Statt die ausweichenden Antworten auf Gameplay-Fragen mit erhöhter Skepsis zu strafen, wurden gerade diese zum Anlass genommen, sich alles mögliche auszumalen, was ein “offenes Weltraumspiel” eben so bieten könnte. Statt weiter auf harte Fakten bezüglich der Spielmechanik zu pochen, wurden aus Hinweisen auf die thematische Ausrichtung des Titels und frühen Screenshots imaginär allerlei interessante Spielelemente gebastelt. Und natürlich wurde fleißig vorbestellt.

Die Erkenntnis nach dem Hype

Es kam also, wie es kommen musste. Das Bild, das sich seit dem Release des Spiels ergibt, unterscheidet sich stark von dem in den Köpfen der Spieler gezeichneten. Mittlerweile wird deutlich: Dass so wenig über das tatsächliche Gameplay gesprochen wurde, hatte schlicht und ergreifend den Grund, dass von selbigem nicht viel existiert. Der Löwenanteil der Spielzeit wird durch Herumlaufen oder -fliegen gefüllt. Die Reise wird dabei in regelmäßigen Abständen durch das Einsammeln von Ressourcen durch Gedrückthalten der Aktionstaste unterbrochen. Von der erhofften Spieltiefe ist an dieser Stelle nicht mehr viel übrig. Einzig die “endlose Größe” des Universums entspricht zumindest formal den Erwartungen. Da die Unterschiede zwischen den Planeten jedoch mitunter verschwindend gering ausfallen, erscheinen unter anderem gerade dadurch “die eigenen Handlungen bedeutungslos”.

No Man's Sky Resources

“Ach, ist der Rasen schön grün!” Ansonsten: klicken und warten.

Wer mitdenkt, wird an dieser Stelle richtigerweise anmerken: “War ja klar!” Wie kann es aber sein, dass trotzdem eine derart große Anzahl Spieler über Jahre hinweg sehenden Auges auf diese spielerische Luftblase zugelaufen ist, nur um sich nun völlig entrüstet darüber zu beschweren, dass sich in selbiger bloß Luft befindet? Die Antwort liegt in der Jugend des Mediums und dessen, insbesondere gegenüber der finanziellen Schlagkraft, unterentwickeltem theoretischen Fundament. Obwohl die Spielmechanik das definierende Element der Kunstform ist, sind es Spieler und auch viele Kritiker schlicht nicht gewohnt, selbiges beim Analysieren und Beurteilen von Spielen bewusst an die erste Stelle zu setzen.

Ernsthaft, was mache ich hier eigentlich?

Zwar verstehen sie intuitiv den Unterschied zwischen Präsentation und Gameplay, zwischen Spielhandlungen, die interessant wirken, und solchen, die es wirklich sind. Der Übergang dazu, diese Unterscheidung auch auf abstrakter Ebene vorzunehmen, also ohne ein bereits konkret vorliegendes Spiel, erfolgt jedoch in den wenigsten Fällen. Gameplay ist inhärent sperrig. Es zu begreifen, erfordert Aufwand. Die Fähigkeit, darüber im Detail zu sprechen oder zu schreiben, ist bisher selbst unter Experten nur begrenzt vorhanden. Die Entwicklung einer klaren, gemeinsamen Sprache ist aktuell eine der wichtigsten Aufgaben des gesamten Fachgebiets. Da liegt es natürlich nahe, dass diese Lücken immer wieder mit Fantasie und Wunschdenken aufgefüllt werden. Viel zu sehr orientieren sich Spieler dabei an thematischen Elementen und kratzen dementsprechend nur an der audiovisuellen Oberfläche.

BatmanCounter

“Hey, Batman, bitte kontere mich jetzt!” Heldenhaft, nicht wahr?

Dabei wäre es notwendig, sich viel öfter bewusst und unabhängig von der Präsentation die Frage zu stellen: “Was mache ich in diesem Spiel tatsächlich?” Sind interessante Entscheidungen zu treffen oder schwierige Manöver auszuführen? Muss ernsthaft überlegt werden, wann welche Aktion sinnvoll ist? Oder werden letztlich doch bloß Objekte angeklickt bis sie verschwinden? Vielleicht wird auch nur immer wieder die Aktionstaste gedrückt, bis sich irgendwann alle Gegner mit spektakulären Animationen verabschiedet haben. Ebenfalls gerne wird minutenlang bloß der Analogstick nach oben gehalten und der Spielfigur beim Wandern durch unendliche Weiten zugeschaut. In wirklich guten Spielen verschmelzen hingegen Spieler und Spiel. Alle Aktionen haben Gewicht. Geniestreiche wie Fehlgriffe in der Spielwelt sind zugleich auch die desjenigen vor dem Bildschirm. Nur durch diese für den Spieler tatsächlich bedeutsamen, weil lehrreichen, Interaktionen kann das einzigartige Potenzial des Mediums ausgenutzt werden.

Fun from games arises out of mastery. It arises out of comprehension. […] With games, learning is the drug.

(Raph Koster)

One Response to No Man’s Sky: Eine Geschichte falscher Blickwinkel

  1. Irgendwie habe ich das Gefühl, in einer ganz anderen Welt gelebt zu haben, denn bis auf die Berichterstattung zu etwaigen Shitstorms habe ich nichts vom Hype um dieses Spiel mitbekommen. Zumindest habe ich ihn nicht stärker eingeschätzt, als bei allen anderen Sandbox/OpenWorld/Survival-Spiel, die in den letzten Monaten den Markt geflutet haben.
    Ich frage mich nun, ob mich No Man’s Sky überhaupt nicht tangiert hat, eben weil es zu diesem Genre gehört, das mich persönlich vollkommen kalt lässt, oder weil ich nie auch nur irgendetwas vom Gameplay gesehen habe…

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